Funktionierende Demokratien sind darauf angewiesen, dass ihre Bürger:innen ausreichend informiert sind und auf der Grundlage von Fakten ihre politischen Entscheidungen treffen. Jedoch ist es um die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung schlecht bestellt. Defizite bestehen vor allem bei älteren Generationen, heisst es in einer neuen Studie des Political Research Network Politools in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) der Universität Bern und dem Institut Public Sector Transformation (IPST) der Berner Fachhochschule Wirtschaft. Zentraler Faktor in allen Altersgruppen ist das Bildungsniveau.
Im Rahmen dieser Studie wird die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung auf verschiedenen Ebenen untersucht. Der Gesamtindex der Medienkompetenz besteht aus den aggregierten Ergebnissen von fünf Teildimensionen (analog zur deutschen Vergleichsstudie zur Nachrichten- und Informationskompetenz aus dem Jahr 2020). Die Ergebnisse sind insgesamt ernüchternd: Die Befragten erreichten im Durchschnitt nur knapp sechs von 19 möglichen Punkten, was nicht einmal einem Drittel der Gesamtpunktzahl entspricht. Selbst unter Anwendung einer etwas milderen Bewertungsskala, wodurch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der «helvetisierten» Schweizer Studie mit der deutschen Studie erhöht wird, verbleibt die durchschnittlich erreichte Punktzahl unter 40 % des Maximums. In der deutschen Vergleichsstudie betrug der Durchschnittswert 13 von 30 möglichen Punkten, was rund 43 % entspricht.
Die Analyse der Medienkompetenz nach klassischen soziodemografischen Merkmalen zeigt, dass Deutschsprachige, Männer und höher Gebildete über eine höhere Medienkompetenz verfügen als Französischsprachige, Frauen und Personen mit niedrigem Bildungsstand. Ebenso zeigt sich, dass jüngere Altersgruppen höhere Kompetenzwerte aufweisen als ältere. Dieser Befund, der sich im Übrigen mit den Erkenntnissen der deutschen Studie deckt, liefert für die Frage der Ausrichtung der Medienbildung wichtige Hinweise, da im Gegensatz zur landläufigen Meinung es nicht primär die jüngsten Altersgruppen sind, welche die grössten Kompetenzdefizite aufweisen.
Bildungsniveau als zentraler Faktor
Anhand einer kombinierten Analyse von Alter und Bildungsniveau kann die vorliegende Studie ein weiteres wichtiges Resultat ausweisen: Das Bildungsniveau ist in allen Altersgruppen ein zentraler Faktor. Die Unterschiede zwischen Personen mit niedriger und denjenigen mit hoher Bildung fallen jedoch bei den älteren Bevölkerungsgruppen ausgeprägter aus als bei den unter 30-Jährigen. Dies ist als eine positive Erkenntnis zu werten, insbesondere auch im Vergleich zu den Resultaten der deutschen Studie, in der Personen mit niedriger Bildung aus der jüngsten Bevölkerungsgruppe eine besonders tiefe Medienkompetenz aufgewiesen haben.
Bemerkenswert ist ferner, dass die Nutzung digitaler Medienkanäle an sich einen positiven Effekt auf die Medienkompetenz hat. Ebenso zeigt sich aber, dass neben der blossen Nutzung vor allem die Bewertung der über die neuen digitalen Kanäle vermittelten Informationen eine entscheidende Rolle spielt: Die Medienkompetenz ist umso höher, je grösser das Vertrauen in die traditionellen Schweizer Medien (online oder offline) sowie in die SRG-Medien und je geringer es in Social Media ausfällt.
Vertrauen in die Medien
Zusätzlich in der Studie abgefragte Themen betreffen die Medienkompetenz in einem weiter gefassten Sinn. Dazu zählt das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien. Die Auswertungen zeigen, dass nur 10 % der Befragten kein Vertrauen in die Berichterstattung zu politischen und gesellschaftlichen Themen haben. Die Ergebnisse bleiben jedoch nicht widerspruchsfrei. So ist fast ein Fünftel der Meinung, dass Medien und Politik Hand in Hand arbeiten, um die Bevölkerung zu manipulieren (und weitere 51 % glauben, dass dies zumindest teilweise der Fall ist). Zudem ist die Hälfte der Befragten ganz oder teilweise der Meinung, dass eine funktionierende Demokratie auch ohne unabhängigen Journalismus funktionieren kann.
In Bezug auf die Mediennutzung geben 60 % an, dass sie sich mindestens einmal täglich und 90 % mehrmals pro Woche über politische Ereignisse informieren. Ebenfalls hoch ist die Nutzung ausländischer Medien: In der Deutschschweiz informieren sich 60 %, in der französischsprachigen Schweiz sogar 80 % auch via ausländische Medien. Rund ein Drittel gibt an, dass sie ausländische Medien in einer anderen Sprache als deutsch resp. französisch nutzen.
Zentrale Informationsquellen sind nach wie vor Fernsehen, Zeitungen und der direkte Austausch mit Freunden oder Familienmitgliedern. Digitale Informationskanäle spielen insofern eine Rolle, als dass z.B. die Zeitungen primär online oder via Apps gelesen werden. Der Konsum von Fernseh- oder Radionachrichten über Websites (Mediatheken) oder Podcasts fällt hingegen deutlich geringer aus. Nicht unterschätzt werden darf in diesem Zusammenhang, dass auch Plattformen und Social-Media-Kanäle (WhatsApp wird z.B. von 90 %, YouTube von 73 % oder Facebook von 61 % benutzt) Zugang zu TV- und Zeitungsbeiträgen bieten.
Fazit
Um die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung steht es nicht allzu gut, was allerdings nicht den jüngeren Bevölkerungsgruppen anzulasten ist. Vielmehr sind es die älteren Befragten, die verstärkte Defizite aufweisen. Die entsprechenden Bemühungen im Rahmen der Schulbildung der vergangenen Jahre scheinen durchaus gefruchtet zu haben und sollten unbedingt beibehalten bzw. gezielt ergänzt werden. Von zentraler Bedeutung ist aber, dass zwingend niederschwellige Wege gefunden werden, die Medienkompetenz der älteren Bevölkerungsgruppen zu verbessern, wie z.B. über die Möglichkeit eines Online-Selbsttests, der neben der Messung der eigenen Medienkompetenz auch praktische Tipps zur Verbesserung der Kompetenzen bietet. Generell sollten Lösungen für ein «lifelong learning» in diesem Bereich erarbeitet werden. Sich nur auf die Kompetenzvermittlung während der Schulzeit zu verlassen, genügt nicht, zumal die heute 20-Jährigen ebenfalls älter werden und mit neuen Herausforderungen im digitalen Medienbereich konfrontiert sein werden.
Quelle: «Die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung – Eine repräsentative Pilotstudie für die deutsch- und französischsprachige Schweiz» von Jan Fivaz und Daniel Schwarz